Der Hamburger Arzt Prof. Dr. Volker Fintelmann beschreibt in „So wunderbar ist das Leben gemischt“ aus eigenem Erleben und Mitgestalten die Entwicklung der Medizin von der Mitte des 20. Jahrhunderts bis in unsere Zeit.
Er führt aus, wie das Streben der Wissenschaft nach Objektivität den Menschen immer mehr zu einem Objekt macht. Dessen Eigenschaften sollen messbar und wägbar sein. In der akademischen Medizin werden deshalb Normen aufgestellt, denen die individuelle Einzigartigkeit des Menschen untergeordnet wird.
Ganzheitliche Perspektive
Volker Fintelmann entwickelt eine auf die Ganzheit des Menschen aus Leib, Seele und Geist gerichtete Anschauung, die er „Intuitive Medizin“ nennt. Diese ist eine Synthese von natur- und geisteswissenschaftlichen Sichtweisen. Ihre praktischen Anwendungen werden beispielhaft in diesem Buch an Krankheiten und Krankheitsgeschichten einzelner Patienten geschildert.
Die Betrachtungen zur Medizin sind hier in der Erzählung des persönlichen Lebensweges des Autors eingebettet. Sie ermöglicht das „so wunderbar gemischte“ Miterleben des Zusammenwirkens von Gesetzmäßigkeiten, willentlicher Lebensgestaltung und geistigem Geführtsein.
„…weit mehr als eine Biografie. […] Das Buch liest sich flüssig und hat man einmal begonnen, mag man gar nicht mehr aufhören. Volker Fintelmann, ein begnadeter Arzt und Mediziner, sieht sich Zeit seines Lebens einer menschengemäßen Medizin verpflichtet. […] Das Werk ist eine Lebensbeschreibung, in der viel persönlich-privates gepaart mit tiefster Berufsethik und konsequenter Selbstführung offengelegt wird. Es finden sich hier viele Perlen und Anregungen für die Fragen nach einer menschengemäßen Medizin, die in unserer einseitig analytisch-technisch ausgerichteten Welt weitgehend verloren zu gehen droht.“ – Monika Elbert in ANTHROPOSOPHIE Ostern 2025
Prof. Dr. med. Volker Fintelmann, geboren 1935, war nach seinem Studium unter anderem Ärztlicher Direktor am Hamburger Klinikum Rissen und baute dort eine anthroposophisch ergänzte Medizin auf. Über 20 Jahre leitete er die von ihm gegründete Carl Gustav Carus Akademie. Er ist beliebter Vortragsredner und Autor zahlreicher Bücher.
Rezension in ANTHROPOSOPHIE Nr. 311 – Ostern 2025
Das vorliegende Buch ist weit mehr als eine Biografie. Vielmehr beschreibt Volker Fintelmann im Alter von fast 90 Jahren sein Leben als sozial-künstlerische Plastik des Heilens, getragen von einer urchristlichen Geste der Ich-Du Beziehung zwischen Patienten und Arzt, zu dem sich als ein Drittes der Heilerwille des unmittelbar pflegend-therapeutischen Umkreises stellt. Das Buch liest sich flüssig und hat man einmal begonnen, mag man gar nicht mehr aufhören. Volker Fintelmann, ein begnadeter Arzt und Mediziner, sieht sich Zeit seines Lebens einer menschengemäßen Medizin verpflichtet. Er nennt sie „Intuitive Medizin“ bei der der erkrankte Mensch mit seiner individuellen Entwicklungsfrage im Mittelpunkt steht. Er zeichnet behutsam und detailreich seinen Lebensweg, nennt Rudolf Steiner und seine Patienten seine größten Lehrer und ist dabei stets voller Dankbarkeit, sowohl für seine Erfolge als auch für Widerstände und Krisen. Auch wenn insbesondere die ersten Kapitel des Buches sehr persönlich-familiär gehalten und vor allem für das verwandtschaftlich-freundschaftliche Umfeld interessant sind, so ist schon hier spannend zu lesen, wie ein Mensch, der bereits im frühen Kindesalter mit einem klaren inneren Ruf „Ich will Arzt werden“ ins Leben tritt und allmählich für die Fragen der Welt und für seinen eigenen, tiefgegründeten Willen zum Heilen erwacht.
Die Lebensbeschreibung wird in zwölf Jahrsiebte thematisch gegliedert. Der Autor beschreibt in anschaulicher Weise, wie sein Lebensweg in der heilen Welt einer kinderreichen Familie begann. Trotzdem der Vater und die älteren Brüder zum Kriegsdienst eingezogen wurden, kommt die Familie doch einigermaßen durch diese dunklen Jahre. Erstaunlicherweise findet nach langer Flucht mit vielen Etappen die Familie nach dem Krieg wieder als Ganzes zusammen. Die Kinder können in Hannover die Waldorfschule besuchen, doch als Volker 13 Jahren alt ist, verunglückt der zwei Jahre ältere Bruder tödlich und reißt damit eine große Wunde des Verlusts in die enge brüderliche Verbundenheit. „Jens-Peter war ein Teil von mir, mein Leben war zutiefst mit seinem verwoben, ohne ihn an der Seite konnte ich mir nicht vorstellen zu leben.“ Durch den tiefen Schmerz wird die Bruderseele für Volker zum geistigen Begleiter zeitlebens. Es lässt sich hier aus der Erzählung bereits ein gewisses Signum erahnen, das seine Biografie durchleuchtet: Freundschaften zu Verstorbenen zu pflegen, vermag auch tragende Freundschaften im Irdischen zu fördern. So wird es dem Schreiber zeitlebens nicht an guten Freunden mangeln, und wohl keiner wird am Ende vergessen worden sein, entsprechend gewürdigt zu werden. Wie ein Segen, könnte man sagen, liegt das Thema seelisch-geistige Freundschaft über diesem Lebensverlauf.
Volker Fintelmann beschreibt immer wieder Momente starken intuitiven Erlebens, beispielsweise: „Das intuitive Erleben (bevor ich es erfahren hatte), dass der Bruder verunglückt sei, war eine Art Wissen, dass viel sicherer war als äußeres Wissen je sein kann.“ Dies intuitiven Einschläge führten Schritt für Schritt aus der Kindheit ins Erwachsensein. Die Jahre in der Waldorfschule haben ihn reich genährt und geprägt. Er erlebte die „Waldorfschule als ein Gesamtorganismus mit den Lehrern als dem Herzorgan“. Die hier erlebte Kraft der Gemeinschaftsbildung war zukunftsweisend für ihn. Goethes „Wahlverwandtschaften“, die er mit 18 Jahren las, weckten ihm die zukünftige Wachheit dafür, wer ihm in seiner geistigen Ausrichtung, in seinem Streben und Zielen verstehend nahesteht. Rückblickend wird ihm klar, dass dies bereits der Vorausklang war, später dem Karma-Begriff Rudolf Steiners zu begegnen.
Nach der Schule kam entsprechend dem inneren Ruf das Medizinstudium, das auf eine vollkommen offen-begierige Seele traf, den Leib als Tempel des Ichs kennenzulernen. So schreibt er beispielsweise: „Sehr faszinierte mich auch eine weitere fakultative, also frei zu wählende Vorlesung, in der wir die mikroskopische Erfassung des Knochenmarks kennenlernen konnten. Dieser organische Ort der Entstehung der Blutzellen war für mich etwas ganz Besonderes. Ich „verliebte“ mich geradezu in diese Wunderwelt von Form und Gestalt (S. 109). Ab dem Alter von 26 prägte Rudolf Steiner sein Leben stark. „Anthroposophie wurde zur Quelle meiner Arbeit, auch für meine eigene Entwicklung, die Möglichkeit ehrlicher Selbsterkenntnis.“ Es öffneten sich ihm mit der Anthroposophie neue Dimensionen: „Der Menschenleib hat einen dem Denken entsprechenden Bau. Der Leib, die Ganzheit der kommunizierenden Organe dient ganz und gar dem menschlichen Denken, von dem alle Erkenntnis ausgeht.“ (S. 187) „Ich ahnte die Bedeutung der Dreiheit von moralischer Phantasie, moralischer Technik und moralischer Intuition für meinen Beruf!“ (S 186) „Da wurde das Zusammenwirken von Organ und Seele unmittelbar anschaubar … wie die Seele unsere Organe als die Instrumente ihrer Wahrnehmungen und Erlebnisse nutzt.“ (S. 144).
Das fünfte Jahrsiebt steht unter dem Motto Lehr- und Wanderjahre in der Medizin. Er beschreibt die lange Lehrzeit, die Diagnose in ihrem umfassendsten Sinne braucht, wobei die Patienten selbst die allerwichtigsten Lehrer sind. In diesem Sinne solle der Arzt nie aufhören, Lernender zu sein. Denn Heilkunst bedeutet für ihn, der Arzt muss im Diagnostizieren, im Erfassen der besonderen Situation des Patienten zum Künstler werden. Und so ging der Weg vom Assistenzarzt, zum Stationsarzt, Oberarzt, Chefarzt, Klinikleitung, hin zur Neugründung einer Klinik erweitert mit anthroposophischer Medizin. Und immer beschreibt Fintelmann dabei seinen inneren Weg. Die Vortags-, Fortbildungs- und Publikationstätigkeit wächst parallel zum ärztlichen Wirken fast ins unermessliche.
„Später, als ich meine schulmedizinische Sicht um komplementäre Medizinsysteme ergänzte, wurde es einer meiner wichtigsten Aufgaben, für Patienten Koordinator zu sein für die unterschiedlichsten Vorschläge verschiedenster Spezialisten und ihnen das Gefühl zu vermitteln, als eine Einheit, eine Ganzheit gesehen und auch verstanden zu werden.“ (S. 142). Dabei war für ihn Gemeinschaft unverzichtbar, um zu einer therapeutischen Intuition zu kommen. Medizin, die ein wirkliches Heilen anstrebt, muss aus der Gemeinschaft heraus getan werden, als einem zentral christlichen Impuls. Was Steiner „Durchchristung der Medizin“ nannte, wurde für ihn so zur „Intuitiven Medizin“, wie er auch eines seiner schriftlichen Hauptwerke benannte. Grundelemente in der Arbeit mit dem Patienten sind hier: vom Aufwachen für die eigene Innenweltverschmutzung (was hier nicht weiter ausgeführt werden kann) hin den Weg zur Sinnhaftigkeit zu finden; Überwindung der Krankheit durch Kreativität, um aus der Chronifizierung zu kommen; das eigentliche Mittel aller Therapie ist die Pflege, in der Mensch auf Mensch wirkt, erst dann folgt das Medikament; die Krönung aller Therapie folgt im therapeutischen Gespräch.
Intuitive Medizin hat im Sinne des Autors zum Inhalt, dass nur mit den dem Menschen innewohnenden Kräften geheilt werden kann. Jedem Menschen wohnt der Heiler inne und es sei Aufgabe des Arztes mit ihm ins Gespräch zu kommen und ihn dafür zu wecken. Folgerichtig tritt dann auch die Mistel in ihrer wesensmäßigen Bedeutung und ihrer stärkenden Kraft für Heilung in den Fokus der Betrachtung. Fintelmann blickt auf den Krebs als eine Krankheit unserer Zeit. Er gibt Einblick in seine jahrelangen Forschungs- und Erkenntnisprozesse und kommt zu dem Schluss, dass die eigentliche Krankheit in einer viel tieferen, verborgeneren Schicht unseres Menschseins liegt. Die Mistel wurde ihm zur zuverlässig treuen Begleiterin bei der Krebstherapie, und er resümiert, dass er seit 1973 keinen Krebspatienten, der ihn als Arzt wählte, mit Mitteln der konventionellen Onkologie behandelt hat. Viele Etappen bleiben hier unerwähnt, doch streifen möchte ich noch kurz den Aufbau der Carus-Akademie, in der Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Krankenhausbetrieb. In jener Lebensphase hat Fintelmann sich schwerpunktmäßig der Lehre gewidmet. Ausbildung Intuitive Medizin, Arzneimittellehre, Therapeutisches und Onkologisches Kolloquium, Ausbildung moralische Phantasie, moralische Technik und moralische Intuition waren unter anderem die Schwerpunkte.
Es ist eine Lebensbeschreibung, in der viel persönlich-privates gepaart mit tiefster Berufsethik und konsequenter Selbstführung offengelegt wird. Es finden sich hier viele Perlen und Anregungen für die Fragen nach einer menschengemäßen Medizin, die in unserer einseitig analytisch-technisch ausgerichteten Welt weitgehend verloren zu gehen droht. Abschließend fasst Volker Fintelmann zusammen: „Was ich mit dieser Reflexion ausdrücken möchte, ist die allmählich gewachsene Zuversicht, dass ich in Zusammenarbeit und mit Unterstützung vieler anderer Menschen Keime einer zukünftigen Anschauung vom Menschen, seiner Gesundheit, seinem Geführt- werden in Krankheiten legen durfte, deren Früchte in kommenden Zeiten reifen werden, wenn ein Zusammenhang mit meinem Wirken längst vergessen sein wird.“ (S. 506). Und er schließt mit der Willenshoffnung möglichst bald in einem nächsten Leben wieder als Arzt auf dieser Erde neu und reifer für eine christlich-menschliche Medizin antreten zu dürfen.
Novalis: Es gibt nur einen Tempel in der Welt,
und das ist der menschliche Körper. Nichts ist heiliger als diese hohe Gestalt.
Monika Elbert, Markdorf