Widerstreit zwischen Anziehung und Abstoßung
Michael Bockemühl

Francis Bacon, Cy Twombly

Edition "Kunst sehen" - Band 13

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Ins Bild gerät, was uns selbst kaum zugänglich ist: was mehr mit dem Werden und Entstehen, mit der Prozessualität als Lebensgrundlage inklusive ihrer abstoßenden, unförmigen, unabgeschlossenen Seiten zu tun hat.

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Der 13. Band der Reihe Kunst Sehen ist Francis Bacon und Cy Twombly gewidmet. Zwei Künstler, die auf den ersten Blick wenig miteinander verbindet. Dennoch: Nicht allein haben wir es beiderseits mit Werken zu tun, die alles, was wir der abendländischen Ästhetik entsprechend als schön empfinden – das Maßvolle und Ebenmäßige – über Bord werfen. Wir entdecken Bilder, die auf je eigene Weise das Marginale der ungerichteten Erfahrung ins Zentrum der Aufmerksamkeit stellen. Obgleich es sich nicht abbilden lässt. 

„Wenn wir uns heute mit Francis Bacon und mit Cy Twombly beschäftigen, so ist das eine ganz außerordentliche Herausforderung gegenüber dem, was wir im Allgemeinen „das Schöne“ nennen. Wir stehen hier vor einer ganz realen Frage, einer persönlichen Entscheidung – schön nicht nur zu nennen, was geworden ist, sondern schön zu nennen, was in den Vorgängen der Realerfahrung an den Grenzen des Sinnlichen sich selber zeigt, was schön ist, indem es als es selbst erscheint. Und insofern kann man diese Strukturen von Cy Twombly und die Figuren von Francis Bacon nach altem Ermessen nicht schön nennen. Aber in einer neuen Struktur, wo das Erscheinen selber der wesentliche Prozess wird, erscheint etwas, was sich als sich selber offenbart und daran Welt. Das sind die neuen Kategorien des Schönen.

Michael Bockemühl

Ins Bild gerät, was uns selbst kaum zugänglich ist. Was mehr mit dem Werden und Entstehen, mit der Prozessualität als Lebensgrundlage inklusive ihrer abstoßenden, unförmigen, unabgeschlossenen Seiten zu tun hat als mit dem (Vor-)Gebildeten. So wird Wahrnehmung als Widerstreit zwischen Anziehung und Abstoßung, Erkenntnisinteresse und Unkenntlichkeit erfahrbar. 

Auf die Leinwand kommt das Jenseits des Abbilds. Ist es bei Bacon der Umraum, der ungestalte Leiber hervorbringt, ohne sie eindeutig zu definieren, so ist es bei Twombly der Bildraum als flüchtig beschriebene Oberfläche, die Sinnzusammenhänge ahnen lässt . Beide versetzen nicht zuletzt den Raum zwischen Betrachtenden und Bild in Bewegung. Und sie fordern die Beziehungsfähigkeit jenseits der gewohnten Ästhetik heraus.

Das unabgeschlossene Vorgängige selbst, die Fluktuation der Bedeutung, wird zum Thema. Und das bringt etwas Unverfügbares in die Erfahrung, das in den Werken mitschwingt, ohne selbst bezeichnet werden zu können. Überschreitungen sind der Urgrund der Bildeprozesse, letztlich Metaphysik. 


Michael Bockemühl war Kunstwissenschaftler, Hochschullehrer, Vortragsredner und Berater großer Unternehmen. In jüngeren Jahren war er als Waldorf- und Sonderschullehrer tätig, später bei der GLS Bank in Bochum. Ab 1985 arbeitete der vierfache Familienvater eine Zeit lang als Kulturmanager für die Anthroposophischen Gesellschaft, bevor er 1990 an die Universität Witten/Herdecke berufen wurde.

Diese auf 20 Bände ausgelegte Edition geht auf eine viel beachtete öffentliche Vorlesungsreihe zurück, die Professor Michael Bockemühl Anfang der 1990er Jahren im Saalbau Witten hielt. In seinen Diavorträgen nimmt der Redner gemäß seinem Credo: „Der Künstler ermöglicht, was der Anschauende verwirklicht“ sein Publikum gleichsam bei der Hand und führt es zu den einzelnen Kunstwerken hin. Dabei werden weder Spekulationen über ihre möglichen Bedeutungen angestellt, noch abstrakte Theorien über das Sehen geschmiedet, vielmehr feiert der Autor ein „Fest für das Auge“: Mit Witz und methodischer Konsequenz versteht es der passionierte Wahrnehmungsforscher die Aufmerksamkeit auf die durch nichts anderes als durch das Kunstwerk eröffneten Anschauungsmöglichkeiten zu lenken.

Die Bände werden herausgegeben von Dr. phil. David Hornemann v. Laer (Zentrum Studium fundamentale) in Zusammenarbeit mit Birgit Bockemühl sowie Studierenden an der Universität Witten/Herdecke.

Die Reihe „Kunst sehen“ kann zu einem vergünstigten Preis pro Band (€ 14,80) im Abonnement bezogen werden. Das Abonnement können Sie auf unserer LandingPage KUNST SEHEN bestellen.

Rezension aus der Erziehungskunst 3/24:

Kunst, die verstört oder ratlos macht

Was ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Schöne in der Kunst? Spielt das Abbildliche noch eine Rolle und wie gestaltet es sich? Das sind leitende Fragen bei der Betrachtung der im vorliegenden Band behandelten Künstler. Zudem lassen sich ihre Werke sprachlich kaum fassen und die Beschäftigung damit wird zu einem Erlebnis der «Annäherung an die Sprachlosigkeit». Auch hierin ist Bockemühl ein subtiler Meister!

Gut zwei Drittel des Bandes sind Francis Bacon gewidmet, auf dessen verstörendes, «hässliches» Werk Bockemühl zuerst anhand eines Zeitungsfotos stieß, das ihm keine Ruhe mehr ließ. Ob es gerechtfertigt oder angemessen ist, Cy Twombly als Kontrast und wesentlich kürzer auf sieben Text- und 15 Abbildungsseiten zu betrachten, mag bezweifelt werden. Ein leises Unbehagen bleibt, auch wenn Bockemühl abschließend überzeugende neue Kategorien des Schönen für beide Künstler formuliert.

In aussagekräftiger Größe und Bandbreite der Bildauswahl, vor allem der für Bacon so zentralen Serien und Tryptichen entwickelt Bockemühl einen Zugang. Motiv und Malweise charakterisiert er als beunruhigend, gewaltsam und permanent von Auslöschung bedroht, zu Orientierungsschwankungen beim Betrachter führend, ja als eine «Höllenfahrt». Durch das künstlerische Mittel des «expressiven Distanzabbaus» «erleidet» der Betrachter das Bild, das bloße Anschauen wirke wie ein «Tabubruch». Dies werde verstärkt durch Bacons Hauptmotiv, den menschlichen Körper und das Porträt, das seit der Renaissance als Inbegriff des Allerhöchsten gelte, als Erscheinung geistdurchdrungener Natur.

Der Bildraum gerät zum Assoziationsraum für die Betrachtenden: Aus verwischten Malgesten bildet sich allmählich ein verdrehter, sich windender, oft gequält erscheinender menschlicher Körper, der seiner Alltags-«Schutzschilder» beraubt ist und versucht, sich «zwischen Raum und Nicht-Raum» zu halten.

Bockemühls Wortfindungen für diese unheimliche, mit elementarer Wucht erlebte Bilderfahrung zeugen von der quälend intensiven Beschäftigung mit Bacon, die sich dadurch nahezu unmittelbar auch dem Leser mitteilt.

Dem gegenüber steht das Werk von Cy Twombly, dessen «unperfekte Flüchtigkeit … etwas Unverfügbares zur Sprache» bringe, das oft an die vielen zeitlichen Schichten einer bekritzelten antiken Hauswand erinnere: «eine müde werdende Linie» an den Rändern des Sinnlichen. Nahezu keine Illustrierung von ETWAS und zugleich eine Erwartungsstimmung weckend, dass da ETWAS zutage treten könne. Twombly formuliert dies so: «Ich zeige Dinge im Fluss» , ein Werden oder auch Verschwinden, etwas unerhört Subtiles, über die Grenze des Physischen hinaus in Zeitgesten hinein. Bockemühl nennt dies das Erlebnis eines plastisch-lebendigen Zustands «zwischen Gestalt und Fluss» mit Übergängen in der Bildgestalt.

Zum Abschluss findet er prägnante Begriffe für die neue Schönheit beider Kunsterfahrungen: Während Bacon «Bereichserfahrungen von Schutzschild zu Schutzschild» zeige, gestalte Twombly «Prozessüberschreitungen» durch «Übergangserfahrungen im Lebendigen».

Eine großartige Seh-und Lese-Reise!

Gabriele Hiller

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